Über 400 Unternehmen planen Kohle-Expansion

Medienbriefing
Berlin 19.09.2019

NGOs enthüllen Konzerne in neuer Global Coal Exit List

Einen Tag vor dem globalen Klimastreik haben urgewald und 30 Partner-NGOs ein Update der „Global Coal Exit List“ (GCEL) veröffentlicht. Sie ist die weltweit umfangreichste Datenbank von Unternehmen, die Geschäfte mit Kohle für die Energieerzeugung machen.

„Unsere Daten für 2019 zeigen, dass Kohlefirmen immer noch versuchen ihre klimaschädlichen Geschäfte auszubauen. Es ist höchste Zeit der Industrie das Geld und die politische Unterstützung zu entziehen “, sagt Heffa Schücking, Geschäftsführerin von urgewald. Die aktualisierte Datenbank belegt: Während die weltweit führenden Klimawissenschaftler und die Vereinten Nationen seit langem davor warnen, dass die kohlebasierte Energieerzeugung rasch eingestellt werden muss, planen nach wie vor über 400 der 746 Unternehmen auf der Global Coal Exit List ihre Kohleaktivitäten auszuweiten.

Die Global Coal Exit List wurde erstmals im November 2017 veröffentlicht und hat die Kohleausschlussregeln vieler Großinvestoren, insbesondere in Europa, maßgeblich geprägt. Über 200 Finanzinstitutionen sind heute registrierte Nutzer der Datenbank. Investoren, die ein Gesamtvermögen von fast 10 Billionen US-Dollar verwalten, wenden eines oder mehrere der Ausschlusskriterien der GCEL an, um Kohleunternehmen aus ihren Portfolios zu entfernen.

Die Datenbank umfasst die größten Betreiber von Kohlekraftwerken und die größten Kohlebergbaukonzerne, außerdem Unternehmen, die mehr als 30% ihrer Einnahmen oder ihres Stroms aus Kohle erzeugen sowie alle Unternehmen, die planen, Kohleminen, Kohleverstromung oder Kohle-Infrastruktur auszubauen.

Die Energie-Ökonomin Prof. Claudia Kemfert vom DIW Berlin sagt: „Die Global Coal Exist List liefert als Datenbank transparente und somit wichtige Informationen über den internationalen Kohle-Markt.“ Der Versicherer Zurich kommentiert: „Die GCEL ist ein wertvoller Beitrag zur Umsetzung unserer Kohle-Richtlinie im Versicherungsbereich, da es die einzige Datenquelle ist, die auch private Unternehmen bewertet.“

Überblick über die neue GCEL

Die Datenbank liefert detaillierte Daten zu 746 Konzernen und über 1.400 Tochtergesellschaften. Deren Aktivitäten reichen von der Kohleexploration und -bergbau, Kohlehandel und -transport bis hin zur Kohleverbrennung in Kraftwerken und Herstellung von Bauteilen für Kohlekraftwerke. Die Informationen in der Datenbank stammen in der Regel aus unternehmenseigenen Quellen wie Geschäftsberichten, Investorenpräsentationen und Firmen-Websites. Insgesamt deckt die GCEL 89% der weltweiten Kraftwerkskohleproduktion und fast 87% der weltweit installierten Kohlekraftwerke ab.

Neue Kohlekraftwerke mit über 579 GW geplant

Während die globale Kohlekraftwerkspipeline in den letzten 3 Jahren um über 50% geschrumpft ist, sind immer noch in 60 Ländern der Welt neue Kohlekraftwerke geplant oder im Bau. Wenn sie alle fertiggestellt werden, würden die Projekte die globale Kohlekraftwerksflotte um über 579 GW erhöhen, was einem Anstieg von fast 29% entspricht.[1]

Die diesjährige GCEL listet 259 Entwickler von Kohlekraftwerken auf. Mehr als die Hälfte dieser Unternehmen stammen nicht ursprünglich aus diesem Geschäftsfeld und werden daher von vielen Kohleausschlussregeln der Finanzinstitutionen nicht erfasst. Typische Beispiele sind Unternehmen wie der Hongkonger Textilproduzent Texhong, der den Bau eines 2.100-MW-Kohlekraftwerks in Vietnam plant. Oder sehr diversifizierte Unternehmen wie die japanische Sumitomo Corporation, die neue Kohlekraftwerke in

Bangladesch, Vietnam und Indonesien entwickelt. Kimiko Hirata von der japanischen NGO Kiko Network sagt: „Alle fünf der größten japanischen Handelshäuser stehen auf der Global Coal Exit List, da sie immer noch neue Kohlekraftwerke im In- und Ausland bauen.“

Einer der skurrilsten Entwickler von Kohlekraftwerken ist „Shine Energy“ aus Australien, der seine Mission wie folgt beschreibt: „Helping Australia transition to a renewable future“. Gleichzeitig plant Shine Energy die Entwicklung eines 1.000-MW-Kohlekraftwerks, „to return one of North Queensland’s oldest coal mining towns to its former glory“, wie eine australische Nachrichtenagentur berichtet.[2]

Ausbau von Kohlebergbau und Kohleinfrastruktur

Über 200 Unternehmen auf der GCEL bauen ihre Kohlebergbauaktivitäten weiter aus, oft gegen den starken Widerstand lokaler Gruppen. Während einige große Kohlebergbaufirmen wie South32 aus Australien damit begonnen haben, ihre Kohlebestände zu verringern, befinden sich die meisten der weltweit größten Kohleproduzenten noch im Expansionsmodus. 24 der 30 Unternehmen, die für die Hälfte der weltweiten Kraftwerkskohleproduktion stehen, verfolgen Pläne, ihre Kohleproduktion weiter zu steigern. Glencore, der achtgrößte Kohleproduzent der Welt, hat kürzlich Lob von Klima-sensiblen Investoren dafür erhalten, dass er eine Obergrenze von 150 Millionen Tonnen für seine jährliche Kohleproduktion festgelegt hat. De facto bleibt damit aber noch viel Platz für Kohle: Im Jahr 2018 betrug die Kohleproduktion von Glencore 129 Millionen Tonnen.

In vielen Regionen der Welt ist die Entwicklung neuer Kohleminen von der Entwicklung neuer Kohletransportinfrastruktur wie Eisenbahnen oder

Kohlehäfen abhängig. 34 Unternehmen auf der GCEL planen den Ausbau solcher Infrastruktur. Dazu gehören das indische Unternehmen Essar, das ein Kohleexportterminal in Mosambik baut oder VostokCoal aus Russland, das zwei Kohle-Terminals in der Arktis baut, auf der empfindlichen Taimyr-Halbinsel, um mit dem Abbau einer der weltweit größten Steinkohlelagerstätten zu beginnen.

Finanzinstitutionen unterschätzen massiv die Rolle von Logistik- und Transportfirmen beim Ausbau der Kohleindustrie. Das zeigt etwa die Tatsache, dass das Unternehmen Adani Ports & Special Economic Zones, eine Tochtergesellschaft der stark auf Kohle fixierten Adani-Gruppe, erst kürzlich noch 750 Millionen US-Dollar durch die Ausgabe einer Anleihe aufnehmen konnte. [3]

„Unsere Recherchen zeigen, dass die Expansion des Kohlebergbaus, der Kohle-Transportinfrastruktur und der Kohle-Energieerzeugung Hand in Hand gehen. Wenn sie das Feuer nicht noch weiter anfachen will, muss die

Finanzindustrie dem Beispiel der französischen Bank Crédit Agricole folgen“, fordert Schücking. In ihrer neuen Richtlinie von Juni kündigte sie an, dass sie ihre Beziehungen zu allen Kunden beenden wird, die den Ausbau des thermischen Kohlebergbaus, von Kohlekraftwerken, Kohletransportinfrastruktur oder des Kohlehandels planen.[4]

Fazit

Von Polen bis zu den Philippinen und von Mosambik bis Myanmar, Gemeinden vor Ort gehen gegen neue Kohleprojekte vor Gericht und auf die Straße. Am 20. September fordern Millionen von Menschen in aller Welt ein Ende der

Verwendung von Kohle und anderer fossiler Brennstoffe. Die gute Nachricht: Die Global Coal Exit List zeigt, dass das Problem begrenzt ist. 746 Unternehmen muss die Finanzindustrie ihre Unterstützung entziehen, damit die Pariser Klimaziele in erreichbare Nähe rücken.

Weitere Informationen:

  • Recherchieren Sie in der GCEL-Datenbank und laden Sie unsere Ergebnisse herunter: https://coalexit.org/database-full
  • Im Anhang sehen Sie interessante Fakten aus der Recherche rund um die globale Kohleindustrie.
  • urgewald kann bei Bedarf eine Excel-Datei mit sämtlichen untersuchten Kohle-Muttergesellschaften zur Verfügung stellen. Wenn Sie Interesse haben, bitte kontaktieren Sie uns.
  • Die Bemühungen von urgewald, die wichtigsten Treiber des Klimawandels zu enthüllen, werden nun auch von der Suchmaschine Ecosia
    unterstützt. Ecosia hat beschlossen, Kohleunternehmen mit einem
    rauchenden Kraftwerkssymbol und einem Link zur GCEL zu kennzeichnen, wenn ihre Namen in Suchergebnissen erscheinen.

 

Interessante Fakten zur globalen Kohleindustrie

Unternehmen:

Von den 746 in der GCEL gelisteten Konzernen sind 361 entweder Betreiber oder Entwickler von Kohlekraftwerken, 237 sind im Kohlebergbau tätig und 148 sind in erster Linie Dienstleistungsunternehmen, die in Bereichen wie Kohlehandel, Kohleverarbeitung, Kohletransport und der Bereitstellung von Spezialausrüstung für die Kohleindustrie tätig sind. [5]

Die 4 Länder mit den meisten Kohleunternehmen sind China (164), Indien (87), die Vereinigten Staaten (82) und Australien (51).

Der weltweit größte Kraftwerkskohleproduzent ist Coal India Limited. Im vergangenen Jahr produzierte das Unternehmen 534 Millionen Tonnen, was 8% der weltweiten Kraftwerkskohleproduktion entspricht.[6] Der zweitgrößte Kohleproduzent ist die China Energy Investment Corporation mit 510 Millionen Tonnen.

Nur 27 Unternehmen stehen für die Hälfte der weltweit installierten Kohlekraftwerkskapazität. Der weltweit größte Betreiber von Kohlekraftwerken ist China Energy Investment Corporation mit 175.000 MW installierter Kapazität.

Der weltgrößte Kohlekraftwerksentwickler ist Indiens National Thermal Power Corporation (NTPC). Dieser plant den Bau von 30.541 MW neuer Kohlekapazität.

Einer der größten Ausrüster von Kohlekraftwerksbauern ist General Electric. Der Konzern ist am Bau neuer Kohlekraftwerke in 18 Ländern beteiligt, von denen die Hälfte Länder sind, die bisher keine oder nur wenige Kohlekraftwerke betreiben. Ein weiterer wichtiger Hersteller und Ausrüster ist Doosan Heavy

Industries & Construction aus Südkorea. Doosan Heavy ist an mindestens 8 Kohlekraftwerken mit einer Gesamtleistung von 10,9 GW beteiligt, die in Südkorea, Indonesien, Vietnam und Botswana im Bau sind.

Länder:

26 Länder, die bisher keine oder kaum Kohlekraftwerke betreiben, droht zukünftige Kohleabhängigkeit durch Neubauprojekte.[7]

Die 10 Länder mit den größten Kohlekraftwerks-Ausbauplänen sind: China (226.229 MW), Indien (91.540 MW), Türkei (34.436 MW), Vietnam (33.935 MW), Indonesien (29.416 MW), Bangladesch (22.933), Japan (13.105 MW), Südafrika (12.744 MW), die Philippinen (12.014 MW) und Ägypten (8.640 MW).

In der Europäischen Union ist Polen das Land mit den größten Ausbauplänen für Kohlekraftwerke (6.870 MW). Von 23 Unternehmen, die Expansionspläne für den Kohlebergbau in Europa haben, expandieren 7 in Polen und 9 in der Türkei. In beiden Ländern gibt es eine starke Opposition gegen neue Kohleprojekte. So protestieren Dorfbewohner aus der türkischen Region Muğla gegen die Pläne von Bereket, IC Holding und Limak Energy, die Laufzeit umweltschädlicher Kohlekraftwerke vor Ort zu verlängern und die Braunkohleminen des Gebiets zu erweitern.

Japan ist das Land mit dem höchsten Anteil an Kohlekraftwerks-Neubauprojekten im Ausland. Von den 30 GW Kohlekapazität, die von japanischen Unternehmen geplant sind, werden 51% im Ausland entwickelt.

Das Land mit den größten absoluten Kohleausbauplänen im Ausland ist jedoch China. Chinesische Unternehmen planen den Bau neuer Kohlekraftwerkskapazität in Höhe von 54 GW in 20 Ländern. Das macht 24% der gesamten von chinesischen Unternehmen geplanten Kohlekraftwerkskapazität aus.

Von 99 Kohleunternehmen, die in Indonesien tätig sind, haben 63 ihren Hauptsitz im Ausland.

Finanzinstitutionen:

Im August 2019 reichten indonesische Staatsbürger in Südkorea eine Klage ein und forderten eine einstweilige Verfügung, um zu verhindern, dass südkoreanische Finanzinstitute den Bau zweier neuer Kohlekraftwerke in der Nähe von Jakarta finanzieren.

Trotz seiner Klimabotschaften ist BlackRock der weltweit größte institutionelle Investor bei Kohlekraftwerksentwicklern. Im Dezember 2018 hielt BlackRock Aktien und Anleihen im Wert von über 11 Milliarden US-Dollar an solchen Unternehmen.

Im Juni 2019 stärkte der Norwegische Pensionsfonds seinen Ausschluss von Kohlefirmen. Er schließt nun alle Unternehmen aus, die über 10 GW

Kohlekraftwerkskapazität betreiben oder pro Jahr über 20 Millionen Tonnen Kohle produzieren. Der Pensionsfonds wendet damit nun zwei der drei GCEL-Kriterien auf sein Portfolio an. Der Gesamteffekt seines im Jahr 2015 eingeläuteten Kohleausschlusses wird auf rund 9 Mrd. Euro geschätzt.

26 Geschäftsbanken haben sich verpflichtet, keine Projektfinanzierung für neue Kohlekraftwerke mehr zur Verfügung zu stellen. 9 Großbanken haben sich außerdem verpflichtet, die Unternehmensfinanzierung für Kunden einzustellen, deren Kohleanteil am Umsatz oder an der Stromerzeugung über einerbestimmten Schwelle liegt.[8]

Philippinische NGOs haben vor Kurzem eine Kampagne gestartet, um die Bank of the Philippine Islands (BPI) zu einem Stopp der Kohlefinanzierung zu bewegen.

16 Versicherer haben die Versicherung von Kohleprojekten beendet oder stark eingeschränkt. Rückversicherer, die 45 % des globalen Marktes repräsentieren, haben ihre Kohleinvestitionen stark reduziert.[9]

Erste Finanzinstitutionen haben sich Enddaten gesetzt, bis wann sie ihre Investitionen komplett Kohle-frei machen wollen. Dazu gehören KLP, Storebrand, Nationale Nederlanden, Allianz, Commonwealth Bank of Australia und Crédit Agricole.

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[1] Die weltweit installierte Kohlekapazität beträgt derzeit 2.026 GW.

[2] https://www.abc.net.au/news/2019-06-18/billion-dollar-indigenous-led-power-station-revive-qld-coal-town/11194306

[3] https://www.financeasia.com/article/adani-ports-extends-indias-us-dollar-bond-spree/452775

[4] https://www.gtreview.com/news/sustainability/84497/

[5] Die Zahlen beziehen sich auf die Hauptaktivität der Unternehmen in der Kohleindustrie. Viele

Unternehmen auf der GCEL sind in zwei oder sogar allen drei Bereichen aktiv.

[6] Nach Angaben der IEA betrug die weltweite Kraftwerkskohleproduktion im Jahr 2018 6.780 t.

[7] Von diesen 26 Ländern haben 15 bisher keinerlei Kohlekraftwerke am Netz, 11 haben 600 MW oder weniger am Netz.

[8] https://www.banktrack.org/campaign/coal_banks_policies

[9] https://unfriendcoal.com/wp-content/uploads/2018/11/Scorecard-2018-report-final-web-version.pdf

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