Die NGOs urgewald und Facing Finance haben durch eine umfangreiche Finanzrecherche massives Greenwashing in europäischen ESG-Fonds, den so genannten „Artikel 8 und 9 Fonds“, aufgedeckt. Von den über 14.000 analysierten ESG-Fonds, die in europäischen Ländern gehandelt werden, investierte weit mehr als ein Drittel (4.792 Fonds) über 123 Milliarden Euro[1] in Unternehmen, die fossile Expansionsprojekte vorantreiben oder aber keinen glaubhaften und Paris-konformen Ausstiegsplan aus Kohle vorgelegt haben.[2]
Allein auf die sechs größten Öl- und Gasmultis TotalEnergies, Shell, ExxonMobil, Chevron, Eni und BP entfallen Investitionen in Höhe von 23,5 Milliarden Euro. Alle davon haben Expansionspläne, die mit dem 1,5-Grad-Limit unvereinbar sind und die Klimaüberhitzung weiter verschärfen werden. Die höchste Investitionssumme floss an TotalEnergies (8,1 Mrd. €). Der größte Öl- und Gasproduzent der EU expandiert seine Geschäfte unter anderem in Ländern wie Mosambik. Sein dortiges LNG-Projekt in der brutal umkämpften Provinz Cabo Delgado ist ein Beispiel dafür, wie fossile Expansion auch die Menschenrechte der lokalen Bevölkerung gefährdet.[3] Insgesamt 4,5 Milliarden Euro investierten die untersuchten Nachhaltigkeitsfonds in Kohleunternehmen mit Expansionsplänen. Glencore und seine Tochtergesellschaften standen hier mit insgesamt 770 Millionen Euro an der Spitze der Liste.
Julia Dubslaff, Finanz-Analystin bei urgewald, kommentiert: „Unternehmen, die in Zeiten der Klimaüberhitzung fossile Expansionsprojekte vorantreiben, gefährden unsere Zukunft. Wer so massiv gegen den Nachhaltigkeitsgedanken verstößt, hat insbesondere in ESG-Fonds nichts verloren. Dass mehr als jeder dritte Fonds, der ökologische oder soziale Merkmale bewirbt, dennoch in expandierende fossile Konzerne investiert, führt klimabewusste Anleger*innen in die Irre. Die Politik muss solche Investitionen in allen ESG-Fonds durch klare Regeln unterbinden.“
Neue ESMA-Leitlinien: Viele Fonds fallen durchs Raster
Die neuen Regeln zur Benennung von ESG-Fonds, vorgelegt von der europäischen Wertpapier-Aufsichtsbehörde ESMA[4], sind ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Die Finanzrecherche zeigt jedoch: Von den knapp 14.300 untersuchten Artikel-8/9-Fonds werden zwei Drittel (9.420) durch die ESMA-Leitlinien nicht erfasst, da in ihren Namen keine ESG- oder nachhaltigkeitsbezogenen Begriffe verwendet werden.[5]
Mit Blick auf fossile Investitionen werden nur 43 Prozent der Fonds erfasst[6], da ihre Namen Begriffe der Kategorien „Environment“, „Sustainability“ oder „Impact“ enthalten. Solche Fonds müssen ab dem 21. Mai 2025, wenn die neuen ESMA-Leitlinien wirksam werden, die meisten ihrer fossilen Anlagen verkaufen oder aber ihre Namen ändern. Für die fossilen Anlagen bei den restlichen 57 Prozent der Fonds, die andere bzw. keinerlei Begriffe aus dem ESMA-Katalog enthalten, ändert sich nichts (vgl. erste Grafik unten).[7]


Es bleibt abzuwarten, wie genau die nationalen Aufsichtsbehörden mit der Zuordnung und der Interpretation der Begriffe umgehen werden. Hier sollte es eine einheitliche Linie geben. Für Begriffe wie „Kinder“, „Prudence“ o.ä. ist bisher noch unklar, wie sie zukünftig bei fossilen Investitionen behandelt werden. Der Fonds „Fonditalia 4 Children“ investierte zum Stichtag der Recherche beispielsweise in die Unternehmen Enel und China Yangtze Power Co Ltd, die beide Expansionsprojekte im Bereich Gaskraftwerke betreiben. Der Fonds „Eurizon Fund - Absolute Prudent“ investierte in das Kohle-Expansionsunternehmen Glencore sowie EDP Energias de Portugal, das ebenfalls Erweiterungen für Gaskraftwerke plant.
Welche Folgen die derzeit absehbare Begriffszuordnung für klimaschädliche Investitionen hat, zeigen beispielhaft die Geldanlagen der ESG-Fonds in die größten Öl- und Gasmultis. Bis zu 17,1 Milliarden Euro, also gut zwei Drittel der gesamten Investitionen von ESG-Fonds in TotalEnergies, Shell, ExxonMobil, Chevron, Eni und BP, haben auch unter den neuen ESMA-Vorgaben Bestand.
Frederike Potts, Finanz-Analystin bei Facing Finance sagt: „Gerade Kleinanleger*innen blicken kaum durch im ESG-Dschungel und werden oftmals gar nicht ahnen, in welch schmutzige Unternehmen sie ihr Geld investieren. Die ESMA-Leitlinien schaffen hier wenigstens bei Fonds mit Nachhaltigkeits- und Umweltbegriffen Abhilfe. Doch auch die fossilen Investitionen in anderen ESG-Fonds müssen gestoppt werden. Vollkommen unverständlich ist, warum Fonds mit dem Begriff ‚Transition’ an Geldanlagen in Unternehmen festhalten dürfen, die mit fossilen Expansionsprojekten die Transformation unserer Energiesysteme ausbremsen. Wenn diese Lücken nicht geschlossen werden, ist es eine vertane Chance für den Verbraucherschutz in Europa.“
Fondsnamen ändern oder divestieren? Gewissensfrage für Investoren
Betroffene ESG-Fonds, die Begriffe aus den Kategorien „Environment“, „Sustainable“ oder „Impact“ enthalten, haben laut der Finanzrecherche rund 38 Milliarden Euro in fossile Unternehmen investiert, die Expansionsprojekte planen bzw. keine Paris-konformen Kohleausstiegspläne vorgelegt haben.[8] Sie haben ab dem 21. Mai 2025 zwei Möglichkeiten: Sie müssen fossile Wertpapiere verkaufen oder können die entsprechenden Nachhaltigkeitsbegriffe aus ihren Namen streichen. Im letzten Fall könnte das Portfolio so schmutzig bleiben wie zuvor. Nur der erste Weg schützt Verbraucher*innen und hat potentiell eine Klimawirkung.
Dubslaff sagt: „Die betroffenen Fondsanbieter sollten die Chance nutzen und ihre Investitionspolitik anpassen. So können sie ihre Reputation steigern und Kund*innen beweisen, dass sie es ernst meinen mit ihren klimabewussten Fondsprodukten. Den expandierenden fossilen Unternehmen können sie dadurch ein wichtiges Signal senden: Wer seine Geschäfte nicht klimagerecht ausrichtet, fliegt raus.“
Am stärksten betroffene Fondsanbieter: DWS ist fossil stark exponiert
In der Finanzrecherche wurde auch deutlich, welche Fondsanbieter auf dem EU- Markt mit ihren Artikel-8/9-Fonds aktuell besonders stark in Kohle, Öl und Gas investieren. JPMorgan Chase liegt hierbei mit einem Investitionsvolumen in Höhe von 10,2 Milliarden Euro, verteilt über 105 Investmentfonds, an der Spitze. Auf Platz 2 liegt die Deutsche-Bank-Tochter DWS mit 8,7 Milliarden Euro, verteilt über 178 Fonds. Platz 3 nimmt BlackRock ein mit einem Volumen von 8,3 Milliarden Euro, gestreut über 188 Fonds. Die deutsche Allianz[9] liegt auf Platz 6 mit 3,7 Milliarden Euro (133 Fonds), gefolgt von der Schweizer UBS auf Platz 7 mit ebenfalls 3,7 Milliarden Euro (124 Fonds).
Ein anderes Bild zeigt sich beim Blick nur auf solche Fonds der ESMA-Kategorien „Environment“, „Sustainable“ oder „Impact“, für die ihre fossilen Anlagen künftig Folgen haben werden. Hier liegt der US-Anbieter BlackRock vorne mit 6,4 Milliarden Euro an fossilen Anlagen in 111 Fonds, gefolgt von Crédit Agricole (inkl. seines Vermögensverwalters Amundi) aus Frankreich mit 3,6 Milliarden Euro in 152 Fonds. Auf Platz 3 folgt die Schweizer UBS mit 2,8 Milliarden Euro in 71 Fonds. Weitere Anbieter aus dem deutschsprachigen Raum unter den Top-20 sind DWS auf Platz 5 (1,6 Mrd. €/101 Fonds), Union Investment auf Platz 9 (956 Mio. €/32 Fonds), Deka auf Platz 14 (653 Mio. €/32 Fonds) und Allianz (inkl. AGI, PIMCO) auf Platz 15 (635 Mio. €/30 Fonds).
Sonderauswertung für Deutschland und Österreich
In den folgenden Tabellen listen wir die Vermögensverwalter mit den größten fossilen Investitionen in den Ländern Deutschland und Österreich auf, deren Fonds von den ESMA-Leitlinien betroffen sein werden.


Dubslaff kommentiert: „Insbesondere die DWS und die Fonds der Raiffeisenbank stechen heraus. Sie arbeiten offenbar gerne mit grünen Signalwörtern in ihren ESG-Fonds, ziehen bisher jedoch nicht die nötigen Konsequenzen. Sie sollten die Gelegenheit nutzen und ihre ESG-Fonds von fossilen Geldanlagen befreien."
Folgende 10 aktiv gemanagte ESG-Fonds deutscher Vermögensverwalter haben anteilig die größten fossilen Investitionen und sind von den ESMA-Leitlinien betroffen[10]:
Name des Fonds | Fossiler Investitionsanteil |
UniNachhaltig Aktien Infrastruktur Dist | 19,81% |
UniInstitutional Aktien Infrastruktur Nachhaltig | 19,46% |
DWS Invest ESG Next Generation Infrastructure LC | 16,76% |
Investitori Flexible Equity ESG B | 14,54% |
UniNachhaltig Aktien Dividende net- A | 13,66% |
Deka-UmweltInvest CF | 10,91% |
UniInstitutional Dividend Sustainable | 10,88% |
Deka Nachhaltigkeit Select Aktien RheinEdition TF | 10,39% |
Metzler Euro Corporates Sustainability AI | 10,23% |
Deka-Nachhaltigkeit Aktien Deutschland TF | 9,47% |
Folgende 10 aktiv gemanagte ESG-Fonds österreichischer Vermögensverwalter haben anteilig die größten fossilen Investitionen und sind von den ESMA-Leitlinien betroffen[11]:
Name des Fonds | Fossiler Investitionsanteil |
Raiffeisen-NewInfrastructure-ESG-Aktien (R) T | 11,77% |
Raiffeisen-Zentraleuropa-ESG-Aktien (R) T | 10,27% |
Raiffeisen-SmartEnergy-ESG-Aktien (R) T | 5,31% |
KEPLER Umwelt Aktienfonds | 3,84% |
Raiffeisen-Nachhaltigkeit-Europa-Aktien R A | 3,42% |
3 Banken Mensch & Umwelt Mischfonds (R) | 3,37% |
3 Banken Mensch & Umwelt Aktienfonds (R) | 3,18% |
Raiffeisen-GlobalDividend-ESG-Aktien (R) (T) | 3,08% |
VPI Nature T | 2,98% |
ERSTE GREEN INVEST EUR R01 T | 2,55% |
Ausblick: SFDR-Überarbeitung muss Lücke bei Artikel 8/9-Fonds schließen
Für Ende dieses Jahres hat die Europäische Kommission eine Überarbeitung der Offenlegungsverordnung SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) angekündigt. Bisher enthält diese im Bereich fossiler Geldanlagen keinerlei Mindestvorgaben für die Investitionen und formuliert lediglich Ansprüche an die Berichterstattung von Artikel-8/9-Fonds. Die Überarbeitung soll Produktkategorien wie beispielsweise „Sustainable“ für Fonds einführen. Wahrscheinlich werden damit auch Mindeststandards für die Investitionsstrategie der entsprechenden ESG-Fonds verbunden sein, beispielsweise Ausschlüsse für fossile Investitionen.
Fiona Hauke, urgewald-Expertin für Finanzregulierung, kommentiert: „Die EU sollte endlich anspruchsvoller bei der Regulierung von Fonds mit ESG-Anspruch werden. Die SFDR-Überarbeitung muss das bisherige Nachhaltigkeits-Dickicht durch konkrete Vorgaben beseitigen. Für alle ‚grünen‘ Geldanlagen müssen strenge fossile Ausschlüsse gelten. Unter anderem sollte es selbstverständlich sein, dass Unternehmen mit fossilen Expansionsprojekten und solche, die keine ernstzunehmenden Ausstiegspläne für ihre Kohlegeschäfte haben, nichts in ‚Transition‘-Fonds zu suchen haben. In Zeiten, in denen US-Präsident Trump Nachhaltigkeit zum Feindbild macht, sollte die EU Haltung beweisen und diesen Zukunftssektor stärken.“
Weiteres Material:
Auf Anfrage verschicken wir gerne die Rohdaten zur Finanzrecherche.
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[1] Untersucht wurden insgesamt 14.291 Fonds der Kategorien Artikel 8 und 9 nach der EU-Offenlegungsverordnung (SFDR / Sustainable Finance Disclosure Regulation), die in einem europäischen Land vermarktet werden. 13.507 davon sind aktiv gemanagte Fonds und 784 börsengehandelte Indexfonds (ETFs). Hierbei wurden die Investitionen in das Technologieunternehmen Microsoft nicht berücksichtigt. Microsoft baut zwar ein Gaskraftwerk für eines seiner irischen Datenzentren. Dieses fossile Expansionsgeschäft ist jedoch kein zentraler Teil des Geschäftsmodells von Microsoft. Eingeflossen sind die Portfoliodaten von spätestens 31. August 2024 bzw. die letzten verfügbaren Portfolio-Daten vor diesem Datum. Die Fondsdaten wurden durch Facing Finance aus Lipper for Investment Management abgerufen.
[2] Quelle für die Firmendaten sind die von urgewald gepflegten fossilen Industriedatenbanken: Global Coal Exit List (GCEL), Metallurgical Coal Exit List (MCEL) und Global Oil & Gas Exit List (GOGEL).
[3] Vgl. https://www.amisdelaterre.org/communique-presse/124-ngos-call-on-financial-institutions-to-withdraw-support-for-totalenergies-mozambique-lng-project/
[4] Vgl. https://www.esma.europa.eu/press-news/esma-news/esma-guidelines-establish-harmonised-criteria-use-esg-and-sustainability-terms
[5] ESMA gibt folgende Begriffskategorien vor: „Environment“, „Sustainable“, „Impact“, „Transition“, „Social”, “Governance”
[6] 2.078 von 4.792 Fondsnamen der Artikel-8- und -9-Fonds enthalten ESMA-relevante Begriffe, die fossile Geldanlagen einschränken.
[7] 2.411 Fondsnamen enthalten gar keine ESMA-relevanten Begriffe. 234 Fondsnamen verwenden andere ESMA-Begriffskategorien, also „Transition“, „Social“ oder „Governance“, und werden nicht gezählt. 69 Fonds nutzen Begriffe, die sich auf fossile Investitionen auswirken könnten. Da ihre Interpretation noch nicht geklärt ist, werden sie nicht berücksichtigt (vgl. Grafiken weiter unten).
[8] Laut den neuen ESMA-Leitlinien dürfen Fonds mit entsprechenden nachhaltigkeitsbezogenen Namen nur in Unternehmen investieren, die die Kriterien für die sogenannten „Paris-Aligned Benchmarks“ (PAB) erfüllen. Die meisten der von urgewald für die Recherche berücksichtigten Unternehmen in fossilen Industrien sind nicht PAB-kompatibel.
[9] Inkl. AGI, PIMCO
[10] Die ESMA-Leitlinien gelten ebenfalls für börsengehandelte Indexfonds (ETFs). Hier listen wir allerdings nur aktiv gemanagte Fonds auf, weil deren Portfolio frei gestaltet werden kann, unabhängig von einem zugrundeliegenden Index. Mit Blick auf ETFs von deutschen Fondsanbietern besteht vor allem beim Anbieter DWS durch die ESMA-Leitlinien Handlungsdruck.
[11] Siehe Hinweise zu ETFs in der vorherigen Fußnote.