Eine neue Finanzrecherche zeigt erstmals das volle Ausmaß, in dem globale Investoren und Banken trotz eigener Klimaschutzaussagen weiterhin die Kohleindustrie unterstützen. Sie wurde heute von urgewald zusammen mit Reclaim Finance (Frankreich), Rainforest Action Network (USA), 350.org Japan und 25 weiteren NGO-Partnern aus aller Welt veröffentlicht.
Demnach waren 4.488 untersuchte institutionelle Investoren im Januar dieses Jahres mit über einer Billion US-Dollar (1,03 Billion) in Kohlefirmen investiert. 665 Banken haben solche Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren[1] mit Krediten und Investmentbanking-Geschäften in Höhe von 1,12 Billion US-Dollar unterstützt. Ein besonders erschreckendes Ergebnis: Zwischen 2016 und 2019, seit Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens, haben Banken ihre Unterstützung für den klimaschädlichsten Energieträger von Jahr zu Jahr gesteigert. 2020 lagen sie geschätzt auf ähnlich hohem Niveau wie 2019.
Katrin Ganswindt, Finanz-Campaignerin bei urgewald, kommentiert:
„Die Ergebnisse unserer Finanzrecherche sind erschreckend. Die Pariser Klimaziele erfordern einen schnellen Ausstieg aus der Kohle, aber sehr viele Banken und Investoren marschieren immer noch in die entgegengesetzte Richtung. Dies gilt insbesondere für deutsche Banken. Sie beteuern gerne ihre Sorge um das Klima, sind aber nicht bereit ihre Finanzdienstleistungen für Kunden aus der Kohleindustrie zu beenden.“
Yann Louvel, Richtlinien-Analyst bei Reclaim Finance, ergänzt:
„Die überwiegende Mehrheit der Kohle-Richtlinien der Banken hat so viele Schlupflöcher, dass ihre Wirkung fast bedeutungslos ist.“
Reclaim Finance unterhält die Online-Datenbank Coal Policy Tool, die alle von Finanzinstitutionen angekündigten Richtlinien zum Ausschluss von Kohle sammelt und vergleicht. Demnach haben inzwischen 88 Geschäftsbanken eine solche Richtlinie verabschiedet, aber nur vier davon haben Regeln eingeführt, die nach Klima-Maßstäben „robust“ sind.[2]
Die neue Finanzstudie ist die erste, die die Finanzierung von Banken und Investoren für die gesamte Kohleindustrie untersucht hat.[3] Sie basiert auf der globalen Kohlefirmendatenbank Global Coal Exit List, die von urgewald gepflegt wird und zuletzt im November 2020 aktualisiert wurde. Zu den untersuchten institutionellen Investoren gehören etwa Pensionsfonds, Investmentfonds, Vermögensverwalter, Versicherer, Hedgefonds, staatliche Fonds und Geschäftsbanken. Zusätzlich wurden die Kreditvergaben und Investmentbanking-Geschäfte[4] weltweit agierender Banken untersucht.
Deutschland: Commerzbank und Allianz bei Kohlegeschäften vorne
Deutsche Banken sind für rund ein Zehntel (31 Mrd. US-Dollar) der gesamten Kreditsumme (315 Mrd. US-Dollar) für die globale Kohleindustrie verantwortlich und liegen im Ländervergleich auf Platz 7. Die Commerzbank ist mit 5,1 Mrd. US-Dollar an vergebenen Krediten mit Abstand die größte deutsche Kreditgeberin in den vergangenen zwei Jahren, gefolgt von Deutsche Bank (3 Mrd. US-Dollar). Allein 2,5 Mrd. US-Dollar hat die Commerzbank im Untersuchungszeitraum an den Bergbaukonzern Anglo American vergeben, außerdem dreistellige Millionensummen an den Bergbaukonzern Glencore (546 Mio. US-Dollar) und den größten russischen Kohleexporteur SUEK (240 Mio. US-Dollar).
Ganswindt kommentiert: „Die Commerzbank hat 2016 eine aus heutiger Sicht sehr schwache Kohlerichtlinie verabschiedet, die insbesondere noch viele Geschäfte mit dem Kohlebergbausektor zulässt.[5] Wenn die Bank ihre Klimaverantwortung ernstnimmt, sollte sie dem Beispiel von UniCredit folgen und einen schnellen und konsequenten Kohleausstieg beschließen.“
Bei den Investitionssummen liegen deutsche Finanzinstitutionen ebenfalls international auf Platz 7 mit Aktien und Anleihen von Kohleunternehmen in Höhe von 18,9 Mrd. US-Dollar.[6] Hier sticht die Allianz heraus mit einer Investitionssumme von 8 Mrd., gefolgt von der Deutschen Bank mit 6 Mrd. US-Dollar. Mit Blick auf die Allianz fällt auf, dass die Konkurrentin aus Frankreich AXA viel weniger in Kohle investiert. Allianz liegt im internationalen Ranking auf Platz 20 der größten Kohle-Investoren, AXA auf Platz 242.[7]
Im Vergleich zeigt sich eine große Schwäche der aktuellen Allianz-Kohlerichtlinie.[8] Diese beschränkt lediglich Kohle-Investitionen für ihre Eigenanlagen, dabei ist das für Dritte verwaltete Vermögen, etwa bei ihrer Finanztocher PIMCO, rund drei Mal so groß. AXA hingegen wendet ihre Kohlebeschränkungen auf sämtliches Vermögen an, weshalb ihre Kohlerichtlinie von der französischen Organisation Reclaim Finance unter „Best Practice“ geführt wird.[9]
Regine Richter, Versicherungs-Expertin bei urgewald, kommentiert:
„Die Allianz hat in Bezug auf ihre Eigenanlagen bereits große Schritte zum Ausstieg aus der Kohle unternommen. Umso unverständlicher ist es, dass sie die Anlagen, die sie für Dritte verwaltet, immer noch in die Kohle investiert. Sie sollte sich an AXA ein Vorbild nehmen und diese offene Flanke endlich schließen.“
International: US-Investoren dominieren das Feld
Der weltweit größte institutionelle Investor in die Kohleindustrie ist die US-Fondsgesellschaft Vanguard mit einem Bestand von fast 86 Mrd. US-Dollar, dicht gefolgt vom US-Konkurrenten BlackRock mit Investitionen von über 84 Mrd. US-Dollar. Auch insgesamt hat die US-Finanzindustrie eine dominierende Rolle: Mit Aktien und Anleihen im Wert von 602 Mrd. US-Dollar hält sie 58 Prozent der institutionellen Investitionen in die globale Kohleindustrie.
„Wir begrüßen Präsident Bidens Executive Order zur Beendigung der öffentlichen Finanzierung fossiler Brennstoffe im Ausland, aber die neue Regierung muss sich auch mit dem Versagen der Wall Street beschäftigen, die den Klimawandel mit ihren Geschäften weiter anheizt“, kommentiert Patrick McCully, Programmdirektor für Klima und Energie bei Rainforest Action Network.
Die größten drei Kreditgeberinnen sind die japanischen Banken Mizuho (22 Mrd. US-Dollar), Sumitomo Mitsui Banking Corporation (21 Mrd. US-Dollar) und Mitsubishi UFJ Financial Group (18 Mrd. US-Dollar). Danach folgen Citigroup (USA; 13,5 Mrd. US-Dollar) und Barclays (UK; 13,4 Mrd. US-Dollar).
Beim Underwriting[10] liegen chinesische Banken vorne. Die größten fünf in diesem Feld sind: Industrial and Commercial Bank of China (37 Mrd. US-Dollar), China International Trust and Investment Corporation (32 Mrd. US-Dollar), Shanghai Pudong Development Bank (28 Mrd. US-Dollar), Bank of China (24 Mrd. US-Dollar) und China Everbright Group (23,7 Mrd. US-Dollar).
Yann Louvel von Reclaim Finance fordert:
„Versicherer wie AXA, Banken wie Crédit Mutuel, UniCredit und Desjardins oder Vermögensverwalter wie Ostrum haben gezeigt, was getan werden muss, indem sie die meisten auf der Global Coal Exit List gelisteten Unternehmen aus ihren Portfolios ausgeschlossen haben. Ein schneller Ausstieg aus Kohlefinanzierung und -investition ist machbar und letztlich eine Frage des Überlebens.“
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[1] 1. Oktober 2018 bis 31. Oktober 2020
[2] Vgl. https://coalpolicytool.org?key=eyJvbCI6W10sInRyaSI6MCwiZmx0IjpbeyJpIjoyLCJ2IjoiI1QwIn0seyJpIjoxLCJ2IjoiQmFuayJ9XX0equalsign
[3] In den vergangenen Jahren umfassten die Recherchen Finanzdienstleistungen für rund 200 Kohlefirmen mit Expansionsvorhaben. Nun wurden die Geldflüsse für sämtliche 935 Unternehmen auf der Global Coal Exit List untersucht, die unter www.coalexit.org abrufbar ist.
[4] Auch „Underwriting“ genannt. Hierbei unterstützen Banken ihre Firmenkunden dabei, neues Kapital an den Finanzmärkten aufzunehmen, indem sie in ihrem Namen neue Anleihen oder Aktien auflegen und verkaufen.
[5] Vgl. https://urgewald.org/commerzbank
[6] Stand: Januar 2021
[7] Zur Einordnung: Allianz verwaltet mit rund 2,5 Billionen US-Dollar mehr als das Doppelte der Anlagen von AXA (1,08 Billionen US-Dollar). Ein so großer Unterschied im Ranking lässt sich aber nicht allein damit begründen.
[8] Vgl. https://urgewald.org/medien/allianz-hauptversammlung-vorbildlich-kohle-widerspruechlich-oel-gas
[9] Vgl. https://coalpolicytool.org?key=eyJvbCI6W10sInRyaSI6MCwiZmx0IjpbeyJpIjoyLCJ2IjoiQVhBIChBc3NldCBvd25lcikifSx7ImkiOjIsInYiOiJBWEEgKFJlL0luc3VyZXIpIn0seyJpIjoyLCJ2IjoiQVhBIElNIn1dfQequalsignequalsign
[10] Hier unterstützen Banken ihre Firmenkunden dabei, neues Kapital an den Finanzmärkten aufzunehmen, indem sie in ihrem Namen neue Anleihen oder Aktien auflegen und verkaufen.
[11] Beim „Underwriting“ unterstützen Banken ihre Firmenkunden dabei, neues Kapital an den Finanzmärkten aufzunehmen, indem sie in ihrem Namen neue Anleihen oder Aktien auflegen und verkaufen.