Die internationale NGO-Kampagne "Insure our Future“, deren Mitglied urgewald ist, stellt heute im Rahmen des UN-Klimagipfels in Glasgow das fünfte globale Versicherungsranking zu fossilen Energien-Richtlinien („Insurer Scorecard“) vor. Hierfür wurden die 30 weltweit führenden Versicherungen analysiert. Insure our Future kommt zu dem Schluss: Während die Kohleausschlüsse zunehmen und damit die Kohleindustrie unter Druck gerät, untergraben Versicherungen ihre eigenen Klimaambitionen durch Untätigkeit bei Öl und Gas.
Nur drei Versicherer, AXA aus Frankreich, die italienische Generali und der australische Versicherer Suncorp (letzterer nicht unter den 30 Unternehmen im Ranking) schließen die Versicherung von neuen Öl und Gasprojekte in Teilen bzw. vollständig aus Dabei warnen sowohl die Internationale Energieagentur (IEA) als auch der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change Change), dass neue fossile Projekte nicht mit dem 1,5 °C Ziel vereinbar sind.
Die Allianz konnte sich im Vergleich zum letzten Jahr im Ranking verbessern, da der Konzern erst im Mai seine Kohlerichtlinierichtlinie verschärft hatte. Jedoch gehört die Allianz nach wie vor zu den größten Versicherern im Öl- und Gassektor: sie ist Nummer vier mit 8,9 Prozent Marktanteil laut Orbis Research. Hannover Rück und Münchner Rück haben sich beide Ranking im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert, ebenso wie Talanx. Bei den beiden Rückversicherern schlägt zu Buche, dass sie Kohle bisher nur für Einzelrückversicherungen ausschließen, nicht jedoch für Sammelrückversicherungen. Hannover Rück und Münchner Rück haben beide allerdings angekündigt, Kohle zukünftig auch aus Sammelrückversicherungen auszuschließen, jedoch bisher keine Details genannt.
Der Rückzug der Versicherungsbranche aus der Kohle zeigt, dass schnelle Aktion möglich ist, mit realen Auswirkungen: Seit 2017 haben 35 Versicherer ihre Deckung für Kohle zurückgezogen, allein seit dem letzten Ranking aus 2020 sind 10 neue Namen auf dieser Liste hinzugekommen. Die Ausschlüsse decken mittlerweile mehr als 50 % des globalen Rückversicherungsmarktes. Kohleunternehmen sehen sich daher nun mit steigenden Prämien, reduziertem Versicherungsschutz und grundsätzlich längerer Suche nach Versicherungen konfrontiert. Letzter Rettungsanker für eine zunehmend unversicherbare Kohlebranche sind die Versicherer in den USA und auf den Bermudas.
Allerdings: die Versicherungsbranche gerät auch zunehmend unter Druck über Kohle hinaus tätig zu werden. So verlangte UN-Generalsekretär Antonio Guterres im September beim "Insurance Development Forum“ von den anwesenden Branchenvertreter*innen: „Wir brauchen Net Zero-Verpflichtungen für Ihre Versicherungsportfolios, sowohl bei Kohle als auch bei anderen fossilen Energien.“
Peter Bosshard, der Koordinator der Insure our Future Kampagne sagt: „Die Versicherungsbranche verspi elt ihren Führungsanspruch im Klimabereich, indem sie weiter neue Öl- und Gasprojekte versichert. Dabei ist der wissenschaftliche Konsens vorhanden: Eine Klimakatastrophe lässt sich nicht mehr vermeiden, wenn die Förderung und Nutzung fossiler Energien weiter zunehmen. Wenn sich einige große Akteure im Öl- und Gasversicherungsbereich auf einen Exit hinbewegen würden, könnte dies eine große Wirkung entfalten Die hat sich auch so im Bereich Kohle gezeigt."
Regine Richter, Energie und Finanzcampaignerin bei urgewald ergänzt: „Drei deutsche Versicherer sind in der Net Zero Insurance Alliance und keiner hat bisher eine ernst zu nehmende Öl- und Gasrichtlinie. Das ist in Zeiten der zunehmenden Klimakrise schlichtweg fahrlässig. Mit AXA macht sich nun ein relevanter Versicherer von Öl und Gas auf den Weg, das Ende der fossilen Versicherungen einzuläuten, selbst wenn dabei über 50 Prozent der kurzfristigen Expansion von Öl- & Gasproduktion nicht erfasst sind. Wenn die Allianz im Klimabereich weiter ernst genommen werden will, muss sie nun nachziehen. Die Versicherungsbranche kann den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft besonders gut mitvorantreiben, indem sie ihr Geschäft auf einen 1,5°C-Pfad ausrichtet.“
Axa bezieht sich bei der neuen Öl- und Gasrichtlinie auf die Global Oil and Gas Exit List (GOGEL) von urgewald. In weniger als 5% der dort gelisteten Öl- und Gasunternehmen würde Axa laut eigenen Aussagen mit den neuen Kriterien investiert bleiben können. Die neue Datenbank deckt knapp 95% der weltweiten Öl- und Gasproduktion ab. Sie wird am 4. November im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Glasgow der Weltöffentlichkeit vorgestellt.
Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse des 2021 Versicherungsrankings von Insure our Future aufgeführt:
1) Anhaltende Unterstützung für die Expansion von Öl und Gas
- Während 14 Versicherer aus der Teersandförderung ausgestiegen sind, haben nur drei Versicherer, AXA aus Frankreich, die italienische Generali und die australische Suncorp, nennenswerte Richtlinien für den Öl- und Gasbereich verabschiedet trotz des wissenschaftlichen Konsenses, dass der Ausbau aller fossilen Brennstoffe beendet werden muss.
- Die vier Gründungsmitglieder der Net Zero Insurance Alliance (NZIA) AXA, Allianz, Münchener Rück und Zurich vereinen auf sich mehr als 20% aller Öl- und Gasversicherungen, obwohl sie sich dazu verpflichtet haben, ihre Versicherungsportfolios auf einen 1,5°C-Pfad auszurichten.
- Drei Tage vor der UN-Klimakonferenz in Glasgow legt AXA als erster großer Öl- und Gasversicherer eine Ausschlussrichtlinie für Öl- und Gasunternehmen vor. Im konventionellen Öl- und Gasgeschäft setzt AXA zunächst im Bereich Exploration an, wo investiert wird, um neue Öl- und Gasquellen zu finden. Zunächst werden Unternehmen aus den Anlagen ausgeschlossen, ab 2023 sollen die Kriterien auch für das Versicherungsgeschäft gelten, allerdings mit Ausnahmen. Bei besonders unkonventionellen Fördermethoden, wie Fracking, Teersande und Bohrungen in der Arktis will Axa bereits ab kommenden Jahr Investitionen und Versicherungen ausschließen, allerdings mit Schwellenwerten, die noch viele neue Projekte erlauben werden. Nur 43,5 % der derzeit geplanten Öl- und Gasförderung deckt Axa damit ab. Über 50% der geplanten kurzfristigen Expansion kann der Konzern jedoch nach wie vor versichern.
- Nur zehn Versicherer kontrollieren etwa 70% des globalen Öl- und Gasversicherungsmarktes. AIG, Travelers, Zurich, Allianz, Chubb und Liberty Mutual könnten durch die Einführung entsprechender Richtlinien zusammen mehr als die Hälfte des weltweiten Versicherungsgeschäfts für Öl und Gas beenden.
- Die 18,5 Milliarden USD, die die 30 untersuchten Versicherer jährlich an Prämien aus dem Öl- und Gasgeschäft erhalten, fallen im Vergleich zu ihren Gesamteinnahmen gering aus. Zudem gibt es sogar finanzielle Anreize zum Handeln: Die französische Bank Société Générale hatte im Juli berichtet, dass Versicherer mit einer starken Kohle- und ESG-Politik ihre Attraktivität bei klimabewussten Investoren und damit ihren Unternehmenswert um Milliarden steigern können und bei einer Reduktion ihres Engagements in Öl & Gas einen weiteren „grünen Bonus“ für den Sektor erhalten könnten.
2) Globale Fortschritte bei Kohle
- Die europäischen Versicherer sind weiterhin Vorreiter mit Blick auf Kohlerichtlinien. Lloyd's of London war bis Dezember 2020 der letzte große Branchenvertreter, der neue Kohleprojekte noch versicherte. Die neue Klimarichtlinie von Lloyd’s erlaubt auch weiterhin die Deckung bestehender Kohle-, Teersand- und Arktisprojekte bis 2030.
- Japanische und koreanische Versicherer beginnen, dem europäischen Beispiel zu folgen, und haben mittlerweile strengere Richtlinien als die meisten US-Versicherer. MS&AD und Tokio Marine sind die ersten japanischen Versicherer, die die Versicherung für die meisten neuen Kohleprojekte ein gestellt haben, sie lassen jedoch Schlupflöcher. Sechs koreanische Versicherer haben die Versicherung für Kohlekraftwerke eingestellt, nachdem Samsung Fire and Marine im vergangenen Jahr bereits gehandelt hatte.
- Chinesische Versicherer sind nach wie vor Nachzügler. Die Ankündigung der chinesischen Regierung, den Bau von Kohlekraftwerken in Übersee zu stoppen, wirdjedoch voraussichtlich das Ende ihrer Unterstützung für neue Kohleprojekte außerhalb Chinas bedeuten.
- Diese weltweiten Kohleausschlüsse haben erhebliche Auswirkungen auf
Kohleunternehmen weltweit:- In Europa hat Frankreichs größter Versicherer AXA RWE wegen seiner Kohleaktivitäten als Kunden fallen gelassen.
- In Australien haben 40 Versicherer die Versicherung der umstrittenen Carmichael Kohlemine der Adani Gruppe ausgeschlossen. Einer der Zulieferer des Projekts war nicht in der Lage, überhaupt eine Versicherung zu erhalten.
- In den USA ist der Zugang zu Versicherungen und Finanzen zum Hauptproblem für Kohlekraftwerke in North Dakota geworden. Die Prämien sind um bis zu 100% gestiegen, da immer weniger Versicherer bereit sind, die Branche zu versichern.
- Die Sammelrückversicherung ein globaler Markt mit einem Volumen von über 500 Milliarden US-Dollar ist nach wie vor ein großes Schlupfloch bei dem Ausstieg der Rückversicherer. Während viele Rückversicherer Richtlinien zur Beendigung der direkten Kohledeckung verabschiedet haben, haben nur Swiss Re und SCOR detaillierte Pläne veröffentlicht, wie sie Kohle aus ihrem Sammelrückversicherungsgeschäft ausschließen wollen. Münchner Rück und Hannover Rück arbeiten laut eigener Aussagen an ähnlichen Schritten, ohne jedoch bisher Details zu nennen.
3) Versicherer in den USA und auf den Bermudas hinken mit ihrer anhaltenden Unterstützung für Kohle den Wettbewerbern hinterher
- Versicherer, die noch Kohle unterstützen, sind zunehmend isoliert. AIG, Travelers, Berkshire Hathaway und W.R. Berkeley in den USA sowie Convex und Everest Re auf den Bermudas haben keinerlei Beschränkungen für Kohle. AIG bezeichnet sich selbst als "Umweltschützer", bleibt aber der größte Kohleversicherer außerhalb Chinas. AIG ist damit eines der wenigen Unternehmen, das noch immer Projekte im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar versichert, obwohl Kohle weniger als 0,3 % seiner Prämien für 2020 ausmachte.
- US-Unternehmen wie Liberty Mutual haben es ebenfalls versäumt, die verbleibenden Schlupflöcher in ihren Richtlinien zu schließen, und keiner dieser Versicherer hat die Deckung der Adani-Kohlemine in Australien oder der Trans Mountain-Teersandpipeline in Kanada ausgeschlossen.
4) Spitzenreiter und Nachzügler: Wie schnitten die Unternehmen im Ranking ab?
Auf Basis der Analyse kommt das folgende Ranking zustande:
Versicherung :
Allianz führt das Ranking beim Ausschluss von Versicherung fossiler Energien an, gefolgt von AXA auf Platz zwei. AXIS Capital liegt an dritter Stelle, obwohl nur AXA und Generali eine Deckung für konventionelle Öl- und Gasvorkommen eingeschränkt haben. AIG, Berkshire Hathaway, Convex, Everest Re, PICC, Sinosure, Travelers und W.R. Berkley haben keine Zeichnungsbeschränkungen für fossile Energien. PICC und Sinosure könnten zukünftig jedoch durch die neuen Kohle- Ankündigungen der chinesischen Regierung in ihrer Versicherungstätigkeit eingeschränkt werden, was derzeit im Ranking noch nicht reflektiert ist.
Investitionen:
SCOR und AXA stehen vorne im Ranking beim Divestment von fossilen Energien, gefolgt von Allianz Swiss Re, Zurich, AXIS Capital und Generali schneiden ebenfalls gut ab. Von den 30 untersuchten Unternehmen haben 19 eine Divestment-Richtlinie für Kohle. Während 14 Unternehmen einige Beschränkungen für Öl und Gas haben,
fokussieren sich die meisten hierbei auf Teersande. Zehn der untersuchten Versicherer haben keine Richtlinien für den Ausstieg aus fossilen Energien.
Andere klimabezogene Maßnahmen:
Aviva, Allianz und AXA schneiden am besten ab. Sie gehören zu den acht Gründungsmitgliedern der Net Zero Insurance Alliance, die sich verpflichtet hat, das Versicherungsgeschäft auf einen 1,5°C-Pfad auszurichten. Zwanzig Versicherer erhielten keine Punkte, darunter alle US-amerikanischen und asiatischen Versicherer sowie Lloyd's of London.
Über das Versicherungsranking 2021 von Insure our Future:
Für das Versicherungsranking 2021 von Insure our Future wurden 30 weltweit führende Versicherer hinsichtlich ihrer Versicherungstätigkeiten für und Investitionen in fossile Energien sowie mit Blick auf andere klimapolitische Maßnahmen bewertet. Die Analyse basiert auf den Antworten von 17 der Unternehmen auf eine Umfrage und auf öffentlich zugänglichen Informationen, wenn die Versicherer nicht geantwortet haben. Das Ranking wird veröffentlicht von 26 Organisationen aus 14 Ländern.