Tag 6: Von Jägern und Gejagten

Mittwoch, den 11.März 20

Vor Sonnenaufgang wollten wir früh auf den Burro-Borro-Fluss. Doch dieser führt zu wenig Wasser, so dass wir uns wieder zu Fuß in den Wald aufmachen. Mit langen Hosen, langen Ärmel und Hut auf dem Kopf, zum Schutz vor Moskitos und der Sonne.
John David ist diesmal unser junger Führer. Plötzlich bedeutet er uns leise zu sein: Im Unterholz ist der
Rotschwingen Grundkuckuck (Rufous-Winged Ground-Cuckoo) auf der Jagd nach Insekten. Luke ist voll aus dem Häuschen: den Heilige Gral der Vogelwelt nennt er diese Sichtung, damit wir wirklich auch verstehen, worum es hier geht. Dieser braune Vogel mit dem großen Schwanz ist sehr scheu, es gibt Vogelbeobachter, die nur wegen dieses Tieres nach Guyana kommen. Und wir Glücklichen können ihn direkt neben dem Weg im Gebüsch und für fast eine Stunde ins Visier nehmen.

Beim Weitergehen fliegt plötzlich etwas vor uns auf, ein graues Steißhuhn (Grey Tinamous), das sich gleich wieder im Wald versteckt. 80 Meter weiter dann: Rascheln, Kratzen, Flügelschlagen. John ist schnell im Wald und entdeckt am Boden just dieses Huhn am Boden liegend. Es ist schwer verletzt und verstirbt dann gänzlich. Offenbar haben wir einen Raubvogel bei der Jagd gestört. Wir wandern weiter, verstecken aber eine Kamera in der Nähe – vielleicht kehrt der Jäger bald zu seiner Beute zurück? Und tatsächlich: Beim Abholen der Kamera entdecken wir einen jungen Graubauchhabicht (Grey-bellied Goshawk), der das Huhn kurz zuvor wieder in seinen Fängen gehabt hat. Wermutstropfen: Die Kamera hat das Geschehen nicht eingefangen.

Wir überqueren eine Brücke über einem kleinen, tiefen Flusstal, das gänzlich ohne Wasser ist. So trocken es jetzt ist, aber in der Regenzeit wird dieser Fluss voll sein und noch Teile des Waldes überschwemmen. John holt uns eine fingerlangen Wels (Catfish) aus dem trockenen Fluss, übergießt ihn mit Wasser, auf dass er bald wieder aktiv wird. Zack, bewegt er sich blitzschnell und springt wieder die Brücke hinunter, um sich dort in den Schlamm einzugraben.

Die Harpyie

In der Nähe einer großen früchtetragenden Palme werden wir Zeugen einer fast unwirklichen Szene. Ein kleiner Affe krabbelt den Stamm hoch, verteidigt seinen Baum gegen andere Artgenossen mit gebleckten Zähnen und stopft sich oben angekommen schnell die Früchte in den Mund. Plötzlich hören wir Alarmschreie und mit einem gewagten Sprung in die Tiefe verschwindet der Affe – da fliegt ein großer Schatten über unsere Köpfe hinweg. Ich bin erstmal sprachlos, versuche zu verstehen, was da gerade passiert war, als John schon wieder auf einen der ganz großen Bäume zeigt. Und ja, da oben sitzt die Harpyie, eine der größten Greifvögel der Welt, und beäugt unser Tun. Was für ein Anblick!

300 Seelen-Dorf

Nach der Tour durch den Wald besuchen wir das Dorf Surama, in dem etwa 300 Makushi leben. Wir schauen uns Handwerkskunst (Körbe, Bögen, Schmuck) der Bewohner an, in der Grundschule tragen wir uns ins Gästebuch ein. Wir sind sehr überrascht, als bei meiner Frage, ob die Kinder denn wüssten, wo Deutschland liegt, schnell der Globus gebracht wird und in Windeseile das Land gefunden wird.

Wissenschaft im Dunkeln: Auf Kaiman-Jagd

Mitten in der großen, weiten Savanne steht das Kaiman-Haus, das wir nach zwei Stunden Autofahrt erreichen. Mit Einsetzen der Dämmerung machen wir uns auf zum Fluss. Wir sollen miterleben, wie ein schwarzer Kaiman gefangen und markiert wird. Ein äußerst spannendes Unterfangen, doch ich bin nach 20 Minuten ergebnisloser Bootsfahrt im Stockdustern schon fast überzeugt, dass heute abend die Kaimane zu schlau sind, um sich erneut fangen und checken zu lassen, als der Fang gemacht wird. Es ist ein schmaler, wohl ziemlich hungriger männlicher Kaiman, mit 1,89 cm Länge und 16 kg Gewicht, der neu in die Schlaufe gegangen ist. Er wird gechipt, von außen markiert und dann wieder ins Wasser gelassen. Ziel des Ganzen ist es, mehr über das Leben und die Reviertreue der Tiere zu erfahren, denn sie stellen bei den Überschwemmungen in der Regenzeit eine Gefahr für die Menschen dar. Daher ist es notwendig, über ihre Verbreitung und Verhalten Bescheid zu wissen.