Versicherer heizen Klimakrise weiter an und reduzieren Unterstützung bei Klimafolgen

Medienbriefing
Berlin 09.11.2023

Fünfzig Jahre nachdem die Versicherungsbranche erstmals vor den Auswirkungen des Klimawandels gewarnt hat, heizt sie die Klimakrise weiter an.[1] Dies ist zentrales Ergebnis einer heute veröffentlichten Analyse zu Klimaschutzstandards und fossilen Geschäften großer Versicherer weltweit. urgewald ist Mitherausgeberin der jährlich vom NGO-Netzwerk Insure Our Future aktualisierten Bewertung.

Die Analyse konzentriert sich auf 30 führende Erst- und Rückversicherer weltweit und bewertet deren Richtlinien für den Umgang mit Kohle, Öl und Gas. Hierbei geht es um Versicherungsleistungen und Investitionen. Als Symbol für das Versagen der Versicherer, angemessen auf den Klimanotstand zu reagieren, bleiben in diesem Jahr die ersten drei Plätze der Rangliste leer.[2]

Zum Bericht „Fifty Years of Climate Failure“:
https://cloud.urgewald.org/index.php/s/aMACHExZWBxAMSc

Ergebnisse für deutsche Versicherer: Allianz liegt vorn, mit Abstrichen bei Öl und Gas

Der Bericht enthält auch Ergebnisse von Marktrecherchen des renommierten Dienstleisters Insuramore. Demnach ist die Allianz der fünftgrößte Versicherer für fossile Energieträger weltweit und hat 2022 schätzungsweise 625 Millionen US-Dollar mit Prämien in diesem Bereich eingenommen.[3] Gleichzeitig erhält die Allianz insgesamt die beste Bewertung für ihre Richtlinien zum Ausschluss von fossilen Geschäften, so wie bereits in den Jahren 2021 und 2022, gefolgt von Generali, Aviva, Swiss Re und AXA.[4]

Dabei überzeugt die Kohle-Richtlinie der Allianz besonders: Für den Umgang mit Kohle erhält sie als einziger Versicherer die höchste Punktzahl (10 von 10), gefolgt von AXA, Swiss Re und Generali. Beim Ausschluss von Öl- und Gasgeschäften steht sie mit 3,7 von 10 Punkten deutlich schlechter da – was ihr im internationalen Vergleich immer noch den dritten Platz einbringt. Dies zeigt den Nachholbedarf der gesamten Branche im Öl- und Gasbereich.  Allianz, Hannover Re, Munich Re und HDI Global/Talanx[5] gehören zu den nur sechs der weltweit überprüften Versicherer, die die Absicherung neuer Öl- und Gasförderprojekte mit nur wenigen Ausnahmen beendet haben.

Regine Richter, Energie-Campaignerin bei urgewald, kommentiert:
„Deutsche Versicherer stehen im internationalen Vergleich positiv da, gerade die Allianz ist allerdings nach wie vor ein wichtiger Öl- und Gasversicherer, wie die Marktrecherche zeigt. Auch alle anderen deutschen Versicherer haben Lücken in ihren Ausschlussregeln für Öl und Gas. Angesichts der sich weiter verschärfenden Klimakrise haben sie noch viel zu tun. Die nächsten wichtigen Schritte sind der Ausschluss neuer Gasinfrastruktur wie LNG-Terminals, von Gaskraftwerken und insgesamt von Öl- und Gasfirmen. Aktuelle Klimastudien zeigen in aller Klarheit: Jedes Kilogramm CO2, das mithilfe von Versicherern in die Atmosphäre gepumpt wird, ist eines zu viel.“

Globale Ergebnisse: Größte Versicherer der fossilen Industrien

Laut Recherchen von Insuramore im Auftrag von Insure Our Future brachte die Versicherung fossiler Brennstoffe der Branche im Jahr 2022 rund 21,25 Milliarden US-Dollar ein.[6] Die Versicherer des Lloyds of London-Marktes sind zusammengenommen mit geschätzten jährlichen Prämien in Höhe von 1,6 bis 2,2 Milliarden US-Dollar die weltweit größten Versicherer für fossile Industrien.[7] Darüber hinaus werden diese Sektoren von zahlreichen Einzelversicherern unterstützt. Zu den zehn am stärksten involvierten Anbietern gehören AEGIS, Chubb, Allianz, AXA, Fairfax Financial, Zurich, W. R. Berkley und AIG.[8]

Gleichzeitig ziehen sich Versicherer aus der Absicherung von Klimarisiken zurück. Die zunehmende Häufigkeit und Schwere von Überschwemmungen, Wirbelstürmen, Waldbränden, Dürren und anderen klimabedingten Katastrophen hat dazu geführt, dass die Schadensauszahlungen für Naturkatastrophen seit 2017 auf durchschnittlich 110 Milliarden US-Dollar pro Jahr angestiegen sind. Versicherer lehnen es inzwischen zum Teil ab, Hausbesitzer*innen in den am stärksten gefährdeten Märkten zu versichern.

Peter Bosshard, Globaler Koordinator von Insure Our Future, sagt: „Die Versicherungsbranche hat im Jahr 1973 erstmals vor den Klimarisiken gewarnt und diese sind nun zu einer düsteren Realität geworden, insbesondere für einkommensschwache Länder und Gemeinden, die am wenigsten zur Klimakatastrophe beigetragen haben. Nun lassen Versicherer ihre Kunden, die von den Klimarisiken betroffen sind, im Stich, während sie die Klimakrise weiter anheizen, indem sie weiterhin fossile Expansion absichern und in diese investieren.“

Bosshard weiter: „Wenn Versicherungsunternehmen die Klimawissenschaft ernst nähmen, würden sie sämtliche Versicherungs- und Investitionsstrategien an einem glaubwürdigen 1,5-Grad-Pfad ausrichten und jede Unterstützung für die Steigerung der Produktion fossiler Brennstoffe einstellen. Sie würden fossile Unternehmen verklagen, um die Verursacher für die wachsenden Kosten klimabedingter Katastrophen zur Kasse zu bitten und gleichzeitig die Versicherung für die von Klimafolgen betroffenen Gemeinden bezahlbar halten.“

Hilda Flavia Nakabuye von Fridays For Future Uganda, ergänzt: „Versicherungsunternehmen sind in einer starken Position, um Menschen und den Planeten zu schützen. Sie müssen die von der Klimakrise betroffenen Gemeinden unterstützen, nicht die fossile Industrie. Sie dürfen den Profit nicht in den Vordergrund stellen.“

Rückzug der Branche aus der Absicherung von Klimarisiken

Die Versicherer versuchen, künftige Verluste infolge von Klimarisiken zu begrenzen. Laut einem Briefing über Naturkatastrophen des Swiss Re Institute ist das Kapital für Rückversicherungen im Jahr 2022 um 20-25 % gesunken, was zusammen mit dem wachsenden finanziellen Risiko zu einem sprunghaften Anstieg der Prämien geführt hat. Große Unternehmen wie AIG Re, AXIS Capital, AXA XL, Everest Re und SCOR haben ihre Deckung reduziert oder den Sachversicherungsmarkt ganz verlassen.

Im vergangenen Jahr haben sich Erstversicherer, die mehr als zwei Fünftel des kalifornischen Hausratversicherungsmarktes abdeckten, nach Jahren zunehmender Klimakatastrophen zurückgezogen. Dazu gehören State Farm, Allstate, Chubb, Tokio Marine, AIG und die zu Berkshire Hathaway gehörende AmGUARD. Unternehmen haben auch die Versicherung von Häusern in Florida und Louisiana sowie in Teilen Australiens eingestellt, so dass Hausbesitzer*innen stärker durch Klimafolgen gefährdet sind und ihr Eigentum erheblich an Wert verliert.

Viel Fortschritt beim Ausschluss von Kohle, kaum Einschränkungen für Öl und Gas

Im vergangenen Jahr haben weitere Versicherer Beschränkungen für Geschäfte mit Kohle eingeführt. Obwohl sich der Fortschritt in diesem Bereich verlangsamt hat, wird es für Kohleunternehmen immer schwieriger, eine Versicherung für neue Projekte und zunehmend auch für bestehende Anlagen zu erhalten. Nach Berechnungen von Insuramore haben Versicherungsunternehmen mit einem Anteil von 41,2 % am gewerblichen Schaden- und Unfallversicherungsmarkt und einem Anteil von 62,7 % am Rückversicherungsmarkt inzwischen Maßnahmen ergriffen, gegenüber 39,8 % bzw. 58,2 % im Jahr 2022.

Weitaus weniger Versicherer haben Richtlinien zur Einschränkung von Geschäften mit Öl und Gas eingeführt, und die Beschränkungen sind hier viel schwächer als bei Kohle. Unternehmen mit einem Anteil von 19,6 % am gewerblichen Schaden- und Unfallversicherungsmarkt und 46,7 % am Rückversicherungsmarkt haben laut Insuramore Maßnahmen ergriffen, gegenüber 15,4 % bzw. 43,4 % im Vorjahr.

Der Bericht zeigt: Aviva und Generali haben die stärksten Einschränkungen für Öl und Gas, erreichen in diesem Feld dennoch nur die Punktzahl 4,0 von 10. Nur sie und die deutschen Versicherer Allianz, Hannover Re, Talanx und Munich Re, die hier auf den Plätzen 3, 4, 6 und 7 liegen, haben die Versicherung neuer Öl- und Gasförderung ohne größere Ausnahmen eingestellt. Keiner der 30 untersuchten Versicherer hat die Absicherung neuer Gaskraftwerke eingestellt und fast keiner hat die Unterstützung für die vielen neuen Flüssiggas-Terminals beendet, die weltweit geplant oder im Bau sind.

Im NGO-Bericht heißt es: „Die Versicherer reden viel über die Notwendigkeit, dass Öl- und Gasunternehmen sich von fossilen Brennstoffen abwenden. Tatsächlich plädieren sie aber nicht für einen Ausstieg aus der Förderung fossiler Brennstoffe, sondern geben sich damit zufrieden, wenn die Unternehmen schwache Netto-Null-Versprechen machen, von der Kohle zur Gasförderung übergehen, in Projekte für erneuerbare Energien investieren und ihre betrieblichen Emissionen reduzieren. Dies trägt nicht dazu bei, die Klimaauswirkungen der Verbrennung von Öl und Gas zu verringern, die diese Unternehmen verkaufen, welche den weitaus größten Anteil ihrer gesamten Emissionen ausmachen.“

 

Kontakte für Anfragen zu Insure Our Future und allgemein zum Bericht:

David Mason, Greenhouse Communications
+44 7799 072 320,
david.mason@greenhouse.agency

Maria Dolben, Greenhouse Communications
+44 7408 809 839,
maria.dolben@greenhouse.agency

Kontakte für Anfragen zu deutschen Versicherern und ihren Ergebnissen:

Regine Richter, Energie-Campaignerin urgewald
0170 293 072 5,
regine@urgewald.org


Moritz Schröder-Therre, Pressesprecher urgewald
0152 215 799 77,
moritz@urgewald.org

 

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[1] Im August 1973 veröffentlichte die Münchener Rück die erste Warnung der Versicherungsbranche vor den wachsenden Risiken des Klimawandels unter dem Titel „Hochwasser Überschwemmungen“. Darin hieß es, steigende Temperaturen würden zu einem “Rückzug der Gletscher und Polkappen, einem Schrumpfen der Seenflächen und einem Anstieg der Meerestemperaturen“ führen.

[2] Vgl. Insure Our Future: Fifty Years of Climate Failure (2023), Tabelle S. 17: https://cloud.urgewald.org/index.php/s/aMACHExZWBxAMSc  

[3] Vgl. ebenda, Tabelle S. 13

[4] Vgl. ebenda, Tabelle S. 17

[5] Dies sind sämtliche im Bericht behandelte Versicherer mit Sitz in Deutschland.

[6] Industrieeigene Versicherungen, so genannte Captives, und Rückversicherungen wurden dabei nicht berücksichtigt.

[7] Vgl. ebenda, S. 16

[8] Vgl. ebenda, Tabelle S. 13

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